Bei diesem sog. Lam Rim-Text handelt es sich um ein absolutes Standardwerk des Tibetischen Buddhismus, das den stufenweisen Praxis- und Entwicklungsweg vom Stadium eines Anfängers bis hin zur Realisation desjenigen Zustandes, den man ,Buddha, den erleuchteten Zustand’ nennt, detailliert präsentiert und kommentiert. Obschon auch die anderen tibetischen Traditionen über eigene Lam Rim-Texte verfügen – beispielsweise Patrul Rinpoches ›Die Worte meines perfekten Lehrers‹ (Nyingma), Je Tsongkhapas ›Große Darlegung des Pfades zur Erleuchtung‹ (Gelug) oder die sog. ›Lam Dre-Belehrungen‹ (lam ‚bras) Virupas, wie sie in der Sakya-Linie tradiert sind – wird diese Schrift auch in den übrigen buddhistischen Schulen studiert.
Gampopa, der Hauptschüler des heute weit über die Grenzen Tibets hinaus bekannten Yogi Milarepa, erhielt von jenem dreizehn Monate lang Belehrungen und Übertragungen – insbesondere die sechs Doktrin von Naropa und die vollständigen Belehrungen des Mahamudra. Später verschmolz er jene Kenntnisse mit denen der Kadampa-Tradition, die er bereits früher ausgiebig studiert hatte. Nur an fünf seiner Schüler gab er sämtliche Vajrayana-Übertragungen, die er empfangen, studiert und verwirklicht hatte, vollständig weiter. Da sein bedeutendster Schüler der erste Gyalwa Karmapa Düsum Khyenpa – die erste bereits zu Lebzeiten angekündigte Wiedergeburt überhaupt – war, kann man ihn als den Wegbereiter der Karmapas ansehen.
Wer immer sich der Mühe unterzieht, Gampopas Lehren zu studieren und über sie nachzudenken, macht von der einzigartigen Möglichkeit Gebrauch, sich von allen unausgereiften Vorstellungen und haltlosen Spekulationen darüber, was unter Buddhismus zu verstehen ist, freizumachen. Und Gampopa macht es seinen Lesern wirklich leicht: Zwar ist sein Werk von einer für westliche Literatur ungewöhnlichen Kondensiertheit und Strukturiertheit, doch gleichzeitig ist seine Lektüre außerordentlich inspirierend.